Die Bundesregierung plant mit Wirkung zum 1. November 2018 in den §§ 606ff.ZPO eine neue Klageart einzuführen-die sogenannte „Musterfeststellungsklage“.Der Bun-desrat hat den Weg für die neue Verbraucherklage am 6. Juli 2018 freigegeben. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll damit die Möglichkeit einer „Sammelklage“ eröffnet werden.Die neue Musterfeststellungsklage führt zu einem allgemeinen kollektiven Rechtsschutz für betroffene Verbraucher.In deröffentlichen Diskussion wird dieses Gesetzesvorhabenim Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal genannt.Häufig wird in den Medien darauf hingewiesen, dass betroffenen Käufern noch vor Ablauf der drohenden Verjährungsfrist zum 31. Dezem-ber 2018 für die Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen gegen VW mit dem neuen Gesetzdie Möglichkeit gegeben werde, ihre Ansprüche durch Erhebung einer kostengünstigen Sammelklage geltend machen zu können. Dies soll auch dazu führen, anwaltliche „Geschäftsmodelle“ im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal -angeb-lich für den einzelnen Verbraucher viel zu teuer –abzulösen. Mit Blick auf die in der Vergangenheit von Anwaltskanzleien massenhaftvor deutschen Gerichten gegen VW, deren Tochtergesellschaften undVertragshändler angestrengten Klagen soll die Mög-lichkeit,sich künftig einer „Sammelklage“ anzuschließen,geschädigten Verbrauchern einen einfachenund kostengünstigen Wegeröffnen.„Sammelklagen“werden von den einen als längst überfälliges Prozessverfahren für einen kollektiven Verbraucher-Rechtsschutz gepriesen. Andere bezeichnen das gesetzli-che Vorhaben als reine „Mogelpackung“,sprechen von einer „juristischen Luftnum-mer“. Die neue Klageart werde nicht viel bringen, weil die Verbraucher trotz positivenUrteilsim Musterfeststellungsprozess ihren konkreten Schaden dann in einem weiteren Schritt nach wie vor selbst einklagen müssten.Das Zieldes Gesetzes:Überlegungenzu einer „Sammelklage“durch geschädigte Verbraucher hat es bereits weit vor Bekanntwerdender Manipulationsvorwürfe gegen VW, Mercedes und Audi gegeben. Zur Zielsetzung heißt es in der Gesetzesbegründung, dass ein von standardi-sierten Massengeschäften geprägtes Wirtschaftsleben oftmals eine Vielzahl gleichartig geschädigter Verbraucher hinterlasse. Gerade dann, wenn der Schaden des Einzelnen gering sei, könne man beobachten, dass die überwiegende Anzahl der Geschädigten die Verfolgung ihrer Ansprüche nicht aufnehme, weil der zu betreibende Aufwand für die
Durchsetzung ihrer Ansprüche unverhältnismäßig hoch im Verhältnis zu ihrem Schaden sei. Der unredlich agierende Unternehmer streiche so zum Schaden vieler mitunter ganz erhebliche Gewinne einunderlangedadurch gegenüber ehrlichen Anbietern auchnoch Wettbewerbsvorteile.Die Gesetzesbegründung nennt alsgesetzliches Ziel auch die Entlastung der Justiz von einer Vielzahlgleichgelagerter Einzelverfahren.Man denke hier wiederum an die un-zähligen bereits anhängigenSchadenersatzklagen gegen VW zum Dieselskandal,denen mit Sicherheit eine Vielzahl weiterer Fälle gegen andere große Autokonzerne (Merce-des, Audi etc.) folgenwird.Lösungskonzept:Typischerweise ist der Zivilprozess ein Zwei-Parteien-Prozess. Der Gesetzgeber wird in die Zivilprozessordnung nunmehr eine neue Klageart, die des kollektiven Rechtsschut-zes,einführen (§§ 606-615 ZPO). Die Möglichkeit eines kollektiven Rechtsschutzes gegen einen Unternehmer ist allerdings nicht ganz neu. Siebesteht bisher bereits in speziellen Rechtsgebieten. Am bekanntesten dürften„Sammelklagen“ausden Bereichen Kapital-anlagen-und Wettbewerbsrecht sein. Zuständig für die neuen Klagen sind unabhängig vom Streitwert die Oberlandesgerich-te.Die neue Klagemöglichkeit soll nur Verbrauchernvorbehalten sein. Was in diesem Zusammenhang ein Verbraucher ist, definiert das Gesetz, obwohl der Verbraucherbe-griff bereits in § 13 BGB geregelt ist, in einem insoweit geänderten § 29 c ZPO für das Prozessrecht ausdrücklich neu:„Verbraucher ist jede natürliche Person, die beim Erwerb des Anspruchs oder der Begründung des Rechtsverhältnisses nicht überwiegend im Rahmen ihrer ge-werblichen oder selbstständigen beruflichen Tätigkeit handelt.“Gerichtet ist die Musterfeststellungsklage des Verbrauchers gegen Unternehmer. Mit der Klage kann die Feststellung über das Vorliegen tatsächlicheroder rechtlicherVo-raussetzungen für das Bestehen oder Nichtbestehen von Ansprüchen und Rechtsver-hältnissen–sogenannteFeststellungsziele-verlangt werden. Entschieden werden soll nur über das Bestehen, also das „Ob“eines Anspruchs, nicht über dessen tatsächliche Höhe. Dieszu klären,bleibt nach wie vor dem einzelnen Verbraucher in einem Folge-prozess überlassen.Voraussetzungen:Die Musterfeststellungsklage sollnur vonanerkanntenVerbraucherschutzverbändenerhoben werden können. Aus der Klage muss sich ergeben, dass mindestens zehn Ver-brauchervon dem durch das Gericht festzustellendenSachverhalt betroffen sind. Weite-re Voraussetzung für die Zulässigkeit der Klage ist, dass sich ihr nach deröffentlichen Bekanntmachung innerhalb von zwei Monaten mindestens 50 Verbraucheranschließen, indem sieihre Ansprüche wirksam zur Eintragung in das neu eingeführte Klageregister anmelden(§ 606 ZPO).Das Klageregisterfür anhängige Musterfeststellungsklagen ist eine Neuheit und soll vom Bundesamt für Justiz geführt werden. In diesem für jedermann einsehbarenKlage-register ist bekannt zu machen:-die erhobene Musterfeststellungsklage durch das angerufene Gericht mit Anga-ben zu Parteien, Gericht, Feststellungszielen, Darstellung des streitigen Lebens-sachverhaltes u.a.
-die Anmeldung der Verbraucher, die sich an dem Verfahren beteiligen wollen. Die Anmeldung selbst ist kostenfreiundwird inhaltlich nicht geprüft.Bis zum Tag vor dergerichtlichen Verhandlung kann sie vorgenommen oder wieder zu-rückgenommen werden.-Anmeldung oderRücknahme der Anmeldung müssen stets in Textform erfolgen, E-Mail oder Faxgenügen. Eine anwaltliche Vertretung ist, obwohl das Landge-richt zuständig ist und dort grundsätzlich Anwaltszwang herrscht,nicht erforder-lich(§ 607-609 ZPO).Wirkungen der Klage und der Anmeldung zum Klageregister:Mit Erhebung der Musterfeststellungsklage kann gegen den beklagtenUnternehmer keine weitere Musterfeststellungsklage anhängig gemachtwerden.Während der Dauer des Prozesses kann ein beim Klageregister bereits angemeldeter Verbraucher keine ei-gene Klage mehr erheben, soweit es sich um denselben Streitstoff handelt. Bereits zu-vor anhängige Gerichtsverfahren werden durch das Gericht zunächst ausgesetzt. Ver-brauchern, die sich der Musterfeststellungsklage nicht anschließen wollen, bleibt es al-lerdings unbenommen, ihre Ansprüche dem Grunde und der Höhe nach eigenständig gerichtlich durchzusetzen.Ein großerVorteilfür betroffene Verbraucher besteht darin, dass mit der rechtzeitigen Anmeldung zum Klageregister die Verjährung ihrer Ansprüche gehemmtwird, die Ver-jährungsfrist also nicht weiterläuft. Erst sechs Monate nach Rücknahme der Anmeldung zum Klageregisteroder nach der rechtskräftigen Entscheidung durch das Gericht des Musterfeststellungsprozesses beginnt die Verjährungsfrist weiterzulaufen. Die Herbei-führung der Hemmung der Verjährung erfordert aberSorgfaltbei derAnmeldung zum Klageregister.Sie muss form-und fristgerecht gemäß § 608 ZPO erfolgen. Hemmenden Einfluss auf den Ablauf der Verjährung hat die Anmeldung nur dann, wenn der „Ge-genstand und Grund des Anspruches oder des Rechtsverhältnisses des Verbrauchers“ -also der Streitgegenstand-identisch mit dem Verfahrensgegenstand des Musterfest-stellungsverfahrens ist.Deshalb sollte derVerbraucher sich für die Anmeldung durchausanwaltlichen Rateinholen oder die Anmeldung einem beauftragten Anwalt überlassen.Prozessvergleich im Musterfeststellungsverfahren:Ein gerichtlicher Vergleich kann mit Wirkung für und gegen die angemeldeten Ver-brauchergeschlossen werden. Allerdings bedarf der Vergleich der Genehmigung des angerufenen Gerichts, das einen entsprechenden Beschluss erlässt. Das Gericht geneh-migt den Vergleich, wenn es ihn unter Berücksichtigung des bisherigen Sach-und Streit-standes als angemessene gütliche Beilegung des Streits erachtet. Der Beschluss ist unan-fechtbar. Den angemeldeten Verbrauchern wird der Vergleich einschließlich einer Be-lehrung über Form und Fristen zugestellt.Ist ein im Klageregister für das Verfahren angemeldeter Verbraucher nicht bereit,den Vergleich zu akzeptieren, kann er binnen einer Frist von einem Monat nach Zustellung des gerichtlichen Beschlusses, der die Genehmigung des Vergleichs enthält, seinen Aus-tritt aus dem Vergleicherklären.Wirksam wird der durch das Gericht genehmigte Vergleich erst, wenn weniger als 30 % der zum Klageregister angemeldeten Verbraucher innerhalb der Monatsfrist ihren Aus-tritt aus demVergleich erklärt haben. Somit müssenalso mehr als 70 % der im Klagere-gister wirksam angemeldeten Verbraucher zu dem Inhalt des Vergleichs stehen.
Beendigung durch Urteil:Ein rechtskräftiges Urteil im Musterfeststellungprozess ist bindend für das Nachfolge-verfahrendes Verbrauchers, in dem er nunmehr über die Höhe des ihm zustehenden Anspruches streitet. Das Gericht dieses „Folgeprozesses“ ist insoweit gebunden, prüft also nicht mehr, obein Anspruch besteht oder nicht. Es entscheidet nur noch über des-senHöhe oder eine andere Art der Erfüllung des Anspruchs.Fazit:Ob dieMusterfeststellungsklage ein juristischer Durchbruch für die Durchsetzung von (Schadenersatz)-Ansprüchen -insbesondere in den Fällen des Abgas-Skandals-sein wird, bleibt abzuwarten.Zu Recht wird von Verbraucherschützern kritisiert, dass das Gesetzesvorhaben auf halbem Wege stehengebliebenist, dennBetroffene müssen nach wie vor ihren konkreten Schadeneigenständig bei Gericht in einem Folgeprozess gel-tend machen. Zweifel werden auch dahingehendgeäußert, ob die zur Klageerhebung berufenen Verbände überhaupt über die erforderlichenfinanziellenMittel verfügen, um ein Musterfeststellungsverfahren -nötigenfalls über mehrere Instanzen-durchfüh-ren zu können.Tatsache aber ist, dass durch das neue Verfahren betroffenen Verbrauchern eine einfa-che und kostengünstige Möglichkeit an die Hand gegeben wird, den drohenden Eintritt der Verjährungihrer Ansprüche zu verhindern.An der Verjährung sind in der Vergan-genheit unzähligeder Sache nach grundsätzlich berechtigte (Schadenersatz)-Ansprüche gescheitert. Insbesondere gilt dies auch für Ansprüche der vomDieselskandal betroffe-nen Verbraucher. Die regelmäßige Verjährungsfrist für Schadenersatzansprüche beträgt drei Jahre und beginnt am Schluss des Jahres, in dem der Verbraucher von den Umstän-den seines Anspruches Kenntnis erlangt hat. Für Gewährleistungsansprüche aus einem Kaufvertrag gegenüber dem Händler beträgt sie lediglich zwei Jahre und zwar ab Übergabe des Kaufgegenstandes (beispielsweise des Fahrzeugs).