Der BGH (Beschluss v. 10.09.15 Az.: IX ZB 39/13) hat ein in Polen unter Verwendung der Zustellungsfiktion ergangenes Urteil in Deutschland für nicht vollstreckbar erklärt.
Art. 1135 a. F. der polnischen Zivilprozessordnung sah vor, dass die Partei, die ihren Wohnsitz, gewöhnlichen Aufenthalt oder Sitz im Ausland hat, verpflichtet ist, einen Zustellungsbevollmächtigten in Polen zu benennen, wenn sie keinen in Polen ansässigen Prozessbevollmächtigten be-stellt. Für den Fall, dass kein Zustellungsbevollmächtigter benannt wird, waren die für diese Partei bestimmten gerichtlichen Schriftstücke in der Gerichtsakte zu belassen. Sie galten als zugestellt.
Die Antragstellerin des obigen Verfahrens begehrte die Vollstreckbarkeitserklärung eines polnischen Titels. Auf ihre Klage erließ das polnische Gericht einen Mahnbescheid, gegen den die Antragsgegnerin Widerspruch einlegte.
Einige Monate später erließ das Gericht ein Urteil, das mit der Klage übereinstimmte. Das Urteil wurde rechtskräftig. Erst mit der Zustellung des Urteils incl. Vollstreckungsklausel erfuhr die deutsche Antragsgegnerin von dem Titel.
Gemäß Art. 36 der VO 1215/2012* werden die in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt, ohne dass es eines besonderen Verfahrens bedarf. Diese europarechtliche Regelung vereinfacht die Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Titel in der EU. Rechtskräftige ausländische Urteile dürfen in einem anderen Mitgliedstaat nicht mehr auf ihre Rechtmäßigkeit geprüft werden. Der Einwand, das Urteil sei in der Sache falsch, ist unerheblich.
Nunmehr hat der BGH im Einklang mit dem Europäischen Gerichtshof (EuGH Urteil v. 19.12.12 C-325/11 Adler/Orlowski) eine Ausnahme zugelassen. Die Zustellungsfiktion des polnischen Rechts sei von den Grundprinzipien des deutschen Verfahrensrechts in einem solchen Maße entfernt, dass ein in diesem Verfahren ergangenes Urteil nicht als in einem geordneten, rechtsstaatlichen Ver-fahren ergangen angesehen werden kann.
Diese Entscheidung ist für deutsche Unternehmer von extremer Bedeutung. Obwohl der polnische Gesetzgeber nunmehr eine Gesetzesänderung vornahm (die Zustellungsfiktion gilt nur noch im Verhältnis zu Nicht-EU-Bürger), könnten u.U. noch mehrere unter der Geltung der alten Rechtslage ergangene Urteile im Umlauf sein, die aufgrund der damaligen Besonderheit des polnischen Prozessrechts in Deutschland nicht vollstreckt werden können.
Bevor Sie auf einen- in der Sache ggf. falschen- polnischen Titel eine Zahlung leisten, prüfen Sie, welche Rechtsschutzmöglichkeiten Ihnen in Deutschland zur Verfügung stehen.
*Die Verfasserin zitiert die seit 01/2015 geltende VO 1215/2012. Auf den vom BGH entschiedenen Sachverhalt fand noch die VO 44/2001 Anwendung. Im Ergebnis ist dies unerheblich, da das Urteil auch unter Geltung der neuen VO 1215/2012 seine Aktualität behält.